Rechenschwäche. So helfen Sie Ihrem Kind.
Rechenschwäche oder Dyskalkulie ist noch ein recht junges Forschungsthema in der Didaktik. Rechenschwäche bleibt oft jahrelang unerkannt, weil schwache Rechenleistung vereinfachend auf Faulheit oder auf zu wenig Üben zurückgeführt wird. Doch mehr Üben nützt nichts, wenn grundlegendes Verständnis für das Rechnen fehlt.
Wie man Rechenschwäche erkennt und welche Hilfe Kindern nützt, darüber diskutierte Rainer Schröter vom Marburger Zentrum für Lerntherapie mit Eltern und Lehrekräften auf dem OUS-Forum Eltern und Schule am 29. Januar 2015 in der Otto-Ubbelohde-Schule.
Als Rechenschwäche werden zahlenmathematische Defizite verstanden. Betroffene Kinder beherrschen grundlegende Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division nicht, weil das Verständnis von Mengen und Größen, von Zahlen und mathematischen Operationen fehlt oder nur unzureichend vorhanden ist. Schröter betonte, dass Rechenschwäche keinesfalls als Lernbehinderung, mangelnde Intelligenz, Faulheit, als Schulversäumnis oder als Sinnesbeeinträchtigung verstanden werden darf.
Symptome
Nach Schröters Erfahrung gibt es charakteristische Fehler und Verhaltensweisen, die bei rechenschwachen Kindern auftreten können:
Zählendes Rechnen: Kinder zählen immer wieder von vorne. Wenn die Rechenaufgabe zum Beispiel „5 + 3 = 8“ lautet, zählen Kinder zunächst die „5“ mit den Fingern an der einen Hand ab, dann die „3“ auf die gleiche Art an der anderen Hand und dann wird das Ergebnis erneut mit den Fingern von vorne gezählt. Während die Addition noch ganz gut klappe, sei die Subtraktion bei rechenschwachen Kindern oft verhasst, meinte Schröter.
Ohne Material kein Rechnen: Rechenschwache Kindern benutzen zum Rechnen verschiedene Materialien. Ob die Finger an der Hand, die Stifte im Mäppchen oder die Bücher im Regal: an solchem Material wird abgezählt. Steht kein Rechenmaterial zur Verfügung, stellen sich Kinder die Gegenstände in Gedanken vor, was Eltern dann oft als „in die Luft gucken“ fehlinterpretieren.
Schwierigkeiten bei analytischen Aufgaben: Aufgaben wie „5 + x = 9“ machen rechenschwachen Kindern Probleme, Aufgaben wie „x + 5 = 9“ seien aber fast unlösbar für sie. Manchmal argumentieren die Kinder, dass solche Aufgaben erst gar nicht gelöst werden brauchen, weil das Ergebnis „9“ doch schon da stehe.
Als weitere Symptome führte Schröter auf:
- Rechenschwache Kinder möchten auch einfachste Aufgaben schriftlich rechnen,
- die Aufgabenstellung werde im Verlauf der Aufgabe vergessen,
- die Division sein in der Regel vollkommen unverstanden,
- Textaufgaben seien meist gar nicht lösbar,
- beim „Ein Mal Eins“ zeigten Kinder oft noch gute Gedächtnisleistungen durch Auswendigkernen und
- Uhrzeiten bleiben unverstanden und sind unklar.
Das Marburger Zentrum für Lerntherapie (MZL) hat eine Checkliste für Eltern zusammengestellt, um Rechenschwäche zu erkennen und um den Blick für eventuell vorhandene Probleme zu schärfen. Die Checkliste stellt das MZL als Fragebogen und Symptom-Katalog für Eltern zum Download bereit.
Wie rechnen rechenschwache Kinder?
Wie rechenschwache Kinder rechnen, erklärte Schröter direkt an Beispielen aus seiner Praxis. Zum Beispiel wie ein Kind in der Aufgabe „14 + 9 = ?“ auf das Ergebnis „14 + 9 = 23“ kam. In diesem Fall zählt das Kind von 14 bis 20, also 6. Dann zieht es die 6 von der 9 ab, ergibt 3. Diese 3 addiert das Kind zur 20 dazu und kommt so auf 23.
Ein weiteres Beispiel: für die Aufgabe „21 – 19 = ?“ errechnete das Kind auf das Ergebnis „21 – 19 = 18“. Schröter erklärte: das Kind schreibe die Zahlen korrekt untereinander
..21
– 19
= ?
und zog dann die jeweils kleinere Zahl von der größeren ab. Also im Einerbereich zunächst die 1 von der 9, das mach 8 Einer. Und dann in der Zehnerreihe die 1 von der 2, das macht 1 Zehner.
Und als weiteres Beispiel beschrieb Schröder den Rechenweg für die Aufgabe „500 – 76 = ?“. Das Kind kam hier auf das Ergebnis „500 – 76 = 500“ und hatte auch eine plausible Erklärung dafür. Es schrieb die Zahlen wieder untereinander
..500
– 76
= ?
und rechnete „0 weniger 6“ bleibt „0“, denn von null, also von nichts könne man nicht noch etwas abziehen. Mit der gleichen Logik in der Zehnerreihe kommt als Ergebnis ebenfalls „0“ heraus. Und die „5“ in der Hunderterreihe bleibt unverändert. Das Gesamtergebnis lautete demnach für das Kind „500“.
Rechenschwache Kinder sind meist zählende Rechner, sie versuchen alle Aufgaben zählend zu lösen. Diese Kinder denken in der Regel logisch und folgerichtig – wenn auch falsch. Für sie ist jede Zahl ein eigenes „Ding“. Der Zusammenhang von Zahlen wird eher in der gemeinsamen Reihe gesehen: ähnlich dem Alphabet, das auswendig gelernt wird, weil die Abfolge der Buchstaben ohne innere Logik ist.
Schröter berichtete, dass für rechenschwache Kinder jeder Zehnerwechsel eine zusätzliche Anstrengung bedeutet. Die Kinder zählen schlüssig zum Beispiel 77, 78, 79, und brauchen dann eine Pause, weil sie innerlich zunächst die Zehnerreihe hochaddieren, also 10, 20, 30und so weiter bis 70, um dann auf die 80 zu kommen, die der 79 folgt. Das dauert und führe dann zu den typischen Pausen im Redefluss bei jedem Zehnerwechsel.
Tipps für Eltern mit rechenschwachen Kindern
Um Rechenschwäche vorzubeugen empfiehlt Schröter, mit den Kindern schon lange vor Schuleintritt mathematische Grundlagen zu üben. Ab dem dritten Lebensjahr könnten Eltern ihre Kinder ganz spielerisch mit Zahlen und Mengen vertraut machen. Gleichheiten und Unterschiede könnten an Gegenständen des Alltags erkannt und thematisiert werden: Obst nach Obstsorten gruppieren, Bauklötze nach gleichen Farben oder der Größe nach sortieren oder Kekse nach gleicher Anzahl unter den Anwesenden verteilen.
Tischdecken sei laut Schröter ebenfalls eine gute Übungsplattform: Eltern sollten die Kinder selbst überlegen lassen, wie viele Teller gebraucht werden. Oder man gibt den Kindern weniger Besteck zum Tischdecken, als nach der Personenzahl benötigt wird. Die Kinder sollten selbst erkennen, wie viele Gabeln oder Löffel fehlen und noch aus der Küche zu holen sind.
Um Mengen schnell zu erkennen und verschiedene Mengen hinsichtlich ihrer Mächtigkeit voneinander zu unterscheiden, empfiehlt Schröter auch Spiele mit Murmeln, Kastanien und ähnlichen Sachen. Die einzelnen Kleinmengen sollten so gruppiert werden, dass sie vom Kind auf einen Blick erfasst werden können. Ähnlich wie die Augen auf einem Würfel.
Vor allem die Tipps, was Eltern von rechenschwachen Kindern tun können, um ihre Kinder gut zu unterstützen, kamen bei den Teilnehmern der Veranstaltung sehr gut an. Wir danken nochmals Herrn Schröter für seine spannende und lehrreiche Einführung in das Thema Dyskalkulie und den Eltern und Lehrkräften für die Teilnahme am Vortragsabend. Wir freuen uns, Sie auch beim nächsten Vortrag wieder begrüßen zu dürfen. Und über Ihre Anregungen und Fragen: schreiben Sie uns, unsere E-Mail-Adresse lautet: info@ous-freunde.de.
Informationen zum Anzeigen und zum Download: Mehr Informationen zum Vortrag finden sich in der Präsentation zum Vortrag von Rainer Schröter. Die Checkliste für Eltern finden Sie im Fragebogen und Symptom-Katalog.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.